„Aber wer ist für HR da?“

HR Start-up Award

Frau Breuer, mit dem Satz „Es braucht ein HR für HR.“ haben Sie beim HR Start-up Award einen Nerv getroffen.
Kimberly Breuer: Wir nehmen stark wahr, dass Personal­verantwortliche momentan unter großem Druck ­stehen.

Woran liegt das?
Zum einen hat HR den direkten Kontakt zu den Mitarbeitenden, die von aktuellen Krisen stark belastet sind und noch die Auswirkungen der Pandemie spüren und gestresster sind als früher. Auf der anderen Seite stehen die Bedürfnisse des Managements, das angesichts wirtschaftlicher Krisen und Innovationen wie KI sich ganz schnell verändern und gegebenenfalls von Personal trennen möchte. HR steht mittendrin und versucht in Zeiten von Wandel und Krise eine Balance zu finden. Aber wer ist für HR da? Wir verstehen uns als erweiterten Arm. Personalverantwortliche können die App selbst nutzen, aber auch den Mitarbeitenden zur Verfügung stellen, damit sie sich selbst helfen können.

Wie funktioniert Ihre Mental-Health-Plattform genau?
Zuerst richtet sich unser Angebot in Form der digitalen Plattform direkt an alle Mitarbeitenden. Dort geht es um die individuelle Unterstützung. Wir wollen dabei einen besonders niedrigschwelligen Zugang bieten. Das reicht von digitalen Inhalten bis hin zu Gruppenformaten und Einzelgesprächen mit Psychologinnen und Psychologen sowie Coaches. Die Plattform soll jeder Person die Art von Unterstützung geben, die sie wirklich braucht. Das wäre allerdings nur die halbe Miete. Dementsprechend fokussiert sich unser Service-Bereich auf eine zusätzliche beratende Ebene für Führungskräfte. Wir sind kein Beratungsunternehmen, wir bieten aber zum Beispiel Leadership Trainings und Onboardings mit Führungskräften an.

Wie kam Ihnen die Idee für das Start-up?
Ich selbst habe einen Hintergrund als Psychologin. Deshalb habe ich mich überhaupt mit mentaler Gesundheit und den Problemstellungen dahinter tiefgehender beschäftigt. In Deutschland ist der Zugang zu Unterstützung stark limitiert. Viele Menschen wissen nicht genug über mentale Gesundheit, um die Probleme bei sich zu erkennen. Die Menschen, die die Probleme erkennen, finden wiederum kaum Angebote und müssen mit sehr langen Wartezeiten rechnen.

Ich fragte mich also: Wie kann ich das Thema mentale Gesundheit zugänglicher, skalierbarer und kosteneffizienter gestalten? Dann traf ich meine Mitgründer Maximilian Heberger und Josu Garcia de Albizu, die unabhängig von mir an einer ähnlichen Idee arbeiteten. Gemeinsam sind wir darauf gekommen, Online-Gruppensitzungen anzubieten. Wir wollten Menschen zusammenzubringen, dadurch auch das Stigma reduzieren und die Möglichkeit bieten, mit einem Psychologen über einen gewissen Zeitraum zu arbeiten. Diese Idee entwickelte sich dann zu unserem heutigen Angebot weiter.

Zunächst hat sich das Angebot an Einzelpersonen gerichtet, mittlerweile sind Sie ins B2B-Geschäft umgeschwenkt.
In Deutschland ist die Zahlungsbereitschaft von Einzelpersonen für Gesundheitsdienstleistungen sehr niedrig. Die meisten sind es gewohnt, dass die Krankenversicherung diese Kosten übernimmt. Außerdem verfolgen wir einen klinischen Ansatz. Wir fokussieren uns auf Prävention, nicht auf Intervention. Daher passt unser Angebot nicht in ein Versicherungsprogramm.

Warum setzen Sie vorrangig auf Prävention?
Unsere Unterstützungsangebote können im Arbeitsalltag helfen und punktuell auch in einer Krisensituation. Aber wir können nicht die Langzeittherapie ersetzen. Mittlerweile haben wir auch Nutzer, die tatsächlich beides machen. Also eine Therapie und unsere Psychologinnen dann zusätzlich für spontane und vielleicht leichtere Themen konsultieren.

Wie wird der Schutz der sensiblen Daten gewährleistet?
Alle Nutzerdaten werden komplett anonymisiert abgespeichert. Auch intern kann keiner unserer Mitarbeitenden nachvollziehen, welche Person welche Art von Unterstützung in Anspruch nimmt. Auch mit den Arbeitgebern teilen wir nur anonymisierte Daten, also Informationen zur Nutzung oder allgemeine Reportings. Keine Details. Auch nach außen sichern wir uns extrem ab. Denn wenn hier etwas schiefgeht, riskieren wir unser ganzes Unternehmen. Wir entsprechen allen DSGVO-Anforderungen, nutzen ausschließlich deutsche Server und führen regelmäßig Sicherheitstests durch.

Welche Herausforderungen gibt es, wenn das Programm in Unternehmen eingeführt wird?
Die Entstigmatisierung des Themas ist häufig die größte Herausforderung. Wir unterstützen Unternehmen dabei mit Edukations- und Kommunikationsmaßnahmen, Kick-offs und Onboardings und bitten auch das Management, sich offen dazu zu bekennen. Wir leisten also viel Aufklärungsarbeit. Die Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle dabei, Vorurteile gegenüber psychischen Krankheiten zu reduzieren und somit die Nutzung unserer Angebote zu fördern.

Gibt es auch interne Konflikte, etwa wenn Führungskräfte noch ein anderes Rollenverständnis haben?
Natürlich gibt es noch immer Führungskräfte, die von so viel Offenheit und Verletzlichkeit gegenüber den Mitarbeitenden nicht überzeugt sind. Meistens reicht es aber, wenn sich wenige finden, die den ersten Schritt gehen und zu Vorbildern werden. Erfahrungsgemäß braucht das etwas Geduld. Wir merken aber auch: Viele wissen gar nicht, wie sie über mentale Probleme sprechen sollen. Ihnen fehlt regelrecht das Vokabular. Manchmal bemerken wir aber auch unterschiedliche Intentionen hinter unserem Programm. Viele möchten ihre Mitarbeitenden wirklich entlasten und beim Stressmanagement unterstützen. Einige möchten allerdings ihre Beschäftigten auch produktiver machen, gerade in Zeiten das Fachkräftemangels.

Wie haben sich die Anfragen von Unternehmen in den letzten Jahren verändert?
Mental Health wird endlich ernst genommen – und ist kein reines Trendthema mehr. Mittlerweile zeigt sich, dass mentale Belastung zum Arbeitsalltag gehört und Unternehmen nicht wissen, wie sie ihre Mitarbeitenden unterstützen können. Und das über alle Branchen und Unternehmensgrößen hinweg. Als wir gestartet sind, gab es in vielen Unternehmen noch wenig Bewusstsein dafür. Heute ist das anders. Auch die Rolle der Führungskräfte wird bei Mental Health anders eingeschätzt: Denn es braucht geschulte Vorgesetzte, die Räume schaffen, in denen sie über psychische Belastung zu sprechen.

Warum fällt es vielen Menschen noch so schwer?
Probleme mit unserer mentalen Gesundheit verbinden wir alle noch mit Krankheiten, mit etwas Schlechtem. Mentale Gesundheit betrifft uns aber alle. Es geht gar nicht darum, krank oder problematisch zu sein. Sondern darum, dass jeder Mensch seine eigenen Themen bewältigen muss. Je früher wir alle beginnen, uns selbst zu verstehen und uns mit unseren Gefühlen auseinanderzusetzen, desto resilienter werden wir in der Zukunft.

Über die Gesprächspartnerin:

Kimberly Breuer ist Co-Founder und Co-CEO von Likeminded. Die Psychologin und ehemalige Beraterin gründete das Start-up gemeinsam mit Maximilian Heberger und Stefan Anca im August 2020.

Über den HR Start-up Award:

Der HR Start-up Award wird seit 2016 jährlich auf dem Personalmanagementkongress in Berlin vom Bundesverband der Personalmanager*innen (BPM), der HKP Group, dem Magazin Human Resources Manager und der Quadriga Hochschule vergeben.

2024 bewarben sich 61 Start-ups. Die Unternehmen Empion, Flip und Likeminded wurden von der zehnköpfigen Jury um das Gründungsduo Elke Eller (Aufsichtsrätin und Start-up-Investorin) und Michael H. Kramarsch (Start-up-Investor, Gründer und Managing Partner, HKP Group) und der BPM-Präsidentin, Inga Dransfeld-Haase (Vorständin für Arbeit und Soziales, BP Europa SE) ins Finale nach Berlin geschickt. Dort hatte das Publikum die Wahl. Mehr Informationen unter www.hrstartupaward.com

Weitere Beiträge zum Thema:

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Weltweit. Das Heft können Sie hier bestellen.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer ist Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager. Dort absolvierte sie zuvor ebenfalls ihr Volontariat. Die Berlinerin hat einen Bachelorabschluss in Deutsche Literatur sowie Kunst- und Bildgeschichte und arbeitete mehrere Jahre freiberuflich für mehrere Berliner Verlage. Sie schreibt mit Vorliebe Features und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Zukunft der Arbeitswelt.

Weitere Artikel