Corporate Learning: Kein „nice to have“

Weiterbildung

Die Anforderungen an Jobs wandeln sich so schnell, dass sich keiner mehr auf vorhandenes Wissen verlassen kann. Wie der Bundesverband der Personalmanager*innen (BPM) es in einer seiner Thesen dargelegt hat, ist eine der großen Fragen unserer Zeit, ob beziehungsweise wie die Lernangebote mit dem Tempo des Wandels mithalten. Unternehmen sind in der Verantwortung, zeitgemäße Lernformen und -inhalte zu implementieren. Doch dies ist nur eine Seite der Medaille. „Es ist uns ebenso ein Anliegen, das Prinzip der Eigenverantwortung jedes Mitarbeitenden für seine oder ihre lebenslange Beschäftigungsfähigkeit weiter zu fördern“, heißt es in der These „Fordern und Fördern“ des BPM. Was auch bedeutet, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden ermächtigen müssen, insbesondere mit den technologisch bedingten Veränderungen mitzugehen. Nicht zuletzt, weil die gesuchten Fähigkeiten nicht oder nicht ausreichend am Arbeitsmarkt zu finden sind.

Zukunftsfähigkeiten: Kombination fachlicher und transformativer Skills

Einer der ersten Fragen, die sich Unternehmen stellen sollten: Welche Fähigkeiten brauchen wir künftig zur Bewältigung unserer Herausforderungen und strategischen Ausrichtung? Und welche werden nicht mehr benötigt? Hier bietet es sich an, interne und externe Quellen zu nutzen. Zahlreiche Studien belegen, welche „Zukunfts-Skills“ Unternehmen und Individuen in absehbarer Zeit benötigen. Nicht außer Acht gelassen werden sollte die Erfahrung der eigenen Belegschaft. Umfragen, Fokus-Gruppen-Interviews, Gespräche mit Führungskräften können präzise Antworten liefern, welche Themen auf den Lern-Wunschlisten der Mitarbeitenden stehen und welches Wissen breitere Verbreitung im Unternehmen finden sollte. Die einzelnen Geschäftsbereiche wissen oft sehr gut, was gebraucht wird – Personalverantwortliche, die für die Entwicklung von Lernprogrammen zuständig sind, müssen nur gezielt nachfragen und zuhören. Führungs- und Selbst-Einschätzungen sowie Assessments helfen bei der Beurteilung der aktuellen Lage.

Dabei gehören Digital- und Datenkompetenz immer zu den dringend notwendigen Skills, denn der technologische Wandel als wesentlicher Treiber von Veränderungen macht vor keiner Rolle halt. Neben konkretem Wissen, das meist gut digital und „on-demand“ vermittelt werden kann, gibt es transformative Kompetenzen, die einer differenzierteren Vermittlung mit hohem Reflexionsanteil bedürfen. Dazu gehört beispielsweise die Fähigkeit, sich selbst und andere führen zu können, insbesondere in der Begleitung von Veränderungen.

Business Impact und soziales Lernen

Lernen sollte ausgerichtet an strategischen Unternehmenszielen als Hebel eingesetzt werden, um Performance und Impact steigern zu können. So manches liebgewonnene Training zu einem bestimmten Thema, das „schon immer“ vom immer gleichen Trainer am immer gleichen Seminarort  für viele aufeinander folgende Kohorten durchgeführt wurde, zeigt auf dem Prüfstand der Relevanz fürs Geschäft vielleicht keine überzeugende Relation zwischen Aufwand und Ertrag. Und doch kann ein Unternehmen sich bewusst entscheiden, weiterhin solcherlei Angebote zu machen. Denn Lernen, insbesondere in Gruppen, bedient auch Aspekte von Teambuilding, Mitarbeiterbindung und Resilienz. Es sollte bewusst unterschieden werden, wo Angebote dem messbaren Aufbau von Fähigkeiten dienen und welche ihre Berechtigung (und ihr Budget) bei der Steigerung von Arbeitgeberattraktivität, Engagement und Retention finden. Der Austausch über Gelerntes, Netzwerken und persönliche Begegnung können den Aufbau von Fähigkeiten beflügeln, wenn sie als Maßnahmen gezielt eingesetzt werden.

Digitale Lernformate und individualisierte Learning-Journeys

Lernen muss heutzutage nicht unbedingt in Präsenz stattfinden. Insbesondere digitale Kenntnisse können gut und günstiger online vermittelt werden, entweder mit individualisierten Inhalten und Geschwindigkeiten oder in moderierten virtuellen Gruppenformaten. Learning- und Development-Verantwortliche sollten abwägen, welches Format für welches Thema zielführend ist. Digitale Lernformate, ein breites Angebot von extern produziertem Lern-Content sowie vor allem der Einsatz von KI machen es möglich, individuellen Lernbedürfnissen Rechnung zu tragen, spielerisch Ziele zu setzen, Wissen und Anwendung im Alltag leicht zu überprüfen. Insgesamt gilt die richtige Kombination zu finden aus vorgegeben und selbstbestimmt, punktuell und systematisch, offline und online. Bei digitaler Vermittlung in selbst-gesteuerter Bearbeitung von Modulen gelingt es etwa, über Micro Learning Inhalte mundgerecht zu präsentieren und darüber den Lernenden zu ermöglichen, ihr Wissen besser zu behalten. Gamification befeuert den spielerischen Wettbewerb und kommt vor allem bei jüngeren Zielgruppen gut an. Mikro-Assessments können es den Lernenden ermöglichen, ihren Fortschritt in Bezug auf ihre Trainingsziele zu überprüfen und über die Anwendbarkeit im Arbeitsalltag zu reflektieren.

Beschäftigungsfähigkeit und das Prinzip Eigenverantwortung

Wer sich weiterqualifiziert, bereichert seine Bildungsbiografie und persönliche Beschäftigungsfähigkeit. Ein Unternehmen, das ein breites Lernangebot hat, wird immer als der attraktivere Arbeitgeber wahrgenommen. Umfragen zeigen, dass das Gehalt nicht wichtiger ist als Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung. Idealerweise sollten Unternehmen aber unterscheiden, welche Kenntnisse strategisch wichtig sind und dementsprechend während der Arbeitszeit vermittelt werden sollten. Für andere Fortbildungsinteressen kann es aber auch zumutbar sein, Freizeit einzubringen.

Mitarbeitende bleiben vielleicht weniger lang im Unternehmen, als das neu erlernte Wissen tragen würde. Bei sehr aufwändigen Lernmaßnahmen, etwa externe Zertifizierungen, kann eine Bleibedauer vertraglich geregelt werden, in den meisten Fällen ist dies aber nicht nötig. Dem Risiko, dass manche Mitarbeitenden das Unternehmen besser qualifiziert verlassen und Fortbildungskosten sich nicht rechnen könnten, ist dem größeren Risiko, das sich durch eine nicht ausreichend anschlussfähigen Belegschaft ergäbe, gegenüberzustellen.

Die Rolle von Management und Führungskraft: Ermutigung und Zeit

Betriebliches Lernen braucht ein unterstützendes „Ökosystem“, damit Mitarbeitende effektiv lernen können. Geschäftsführung, Abteilungsleitung und Führungskräfte müssen Lern-Botschafter sein, damit ein Unternehmen zu einer ganzheitlichen Lernkultur findet.  Die unterbreiteten Lernangebote sollten im Alltag der Mitarbeitenden von Vorgesetzen „eingefordert“ werden. Nur dann werden Mitarbeitende Zeit in Lernen investieren, wenn ihre Führungskräfte Vorbilder sind, also selbst lernen, zum Lernen ermutigen und Gelegenheiten schaffen, Erlerntes im Arbeitsalltag umzusetzen. Gerade dieser Aspekt ist entscheidend, damit der Transfer von der Theorie in die Praxis fruchtbar wird. Eine Führungskraft kann etwa gezieltes Feedback darauf geben, was Gegenstand eines kürzlich absolvierten Trainings war, sodass die Mitarbeitenden ihre neuen Fähigkeiten besser einüben können.

Die Rolle von HR: Orientierung geben und Lernkultur ermöglichen

HR kann in seiner Rolle maßgeblich dazu beitragen, eine kollektive Lernkultur zu schaffen. Bei zunehmender Eigenverantwortung für ihre Entwicklung gibt HR den Mitarbeitenden mit oben genannten Maßnahmen und Angeboten Orientierung im Dschungel vielfältiger Lernmöglichkeiten und -notwendigkeiten. Wenn klar kommuniziert ist, welches Wissen im Geschäftsalltag der Zukunft gebraucht wird, können Mitarbeitende gezielt Trainings dazu auswählen.

Idealerweise rückt Learning & Development („L&D“) enger an das Business und beide erarbeiten gemeinsam relevante Lernangebote mit klarem Geschäftsbezug. Dabei kuratieren L&D-Teams zunehmend Inhalte und Formate, die zunächst von externen Anbietern zu erwerben sind und passen diese an die operativen und strategischen  Unternehmensbedürfnisse an. Eine erfrischende Möglichkeit ist auch, dass Fachleute aus den Geschäftsbereichen „Paten“ von bestimmten Lerninhalten werden und so die Aktualität und die geschäftliche Relevanz der Angebote sicherstellen.

HR und L&D sind Katalysatoren einer Lernkultur im Unternehmen, die in Passung mit business-kritischen Lerninhalten wesentlich für die allseits benötigte Veränderungsfähigkeit ist. Das heißt auch, Lernen zu einer „alltäglichen“ Sache zu machen, indem es in den Arbeitsalltag integriert, der Arbeitsort zum Lernort und Praxisnähe ermöglicht wird. Dann zahlt neu Gelerntes und in der täglichen Arbeit Angewandtes auf die strategische Orientierung des Unternehmens ein.

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Felicitas von Kyaw

Vodafone
Felicitas von Kyaw ist Geschäftsführerin Personal und Arbeitsdirektorin bei Vodafone Deutschland und Präsidiumsmitglied des Bundesverbands der Personalmanager*innen (BPM).

Dr. Juliane Bardt

Juliane Bardt ist Leiterin der Corporate Academy bei E.ON Customer Solutions. Für den Bundesverband der Personalmanager*innen (BPM) leitet die promovierte Kunsthistorikerin die Fachgruppe Learning & Development.

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