„Wachstum ist auch schmerzhaft“

Quantenmechanik

Herr Leisse, Sie wollen mit Ihren Quantencomputern von Siegen aus die Welt erobern. Wie stehen die Chancen?
Jan Leisse: Sehr gut. In Siegen steht der erste deutsche Quantencomputer. Seit 2012 entwickelt und in Betrieb genommen am Lehrstuhl für Quantenoptik der Universität Siegen von Professor Christof Wunderlich. EleQtron basiert auf dem Know-how, auf den Kompetenzen und auf den Ansätzen des Lehrstuhls.

Was ist der Unterschied zwischen der Quantenmechanik und den bisherigen binären Systemen, die in unserer derzeitigen Technologie stecken?
Einzelne Nullen und Einsen, binäre Systeme, das sind klassische Computersysteme. Die Quantentechnik beschreibt eine andere Art und Weise, wie Physik funktioniert. Einer der Leitsätze der Quantenmechanik ist, dass ein Atom zur selben Zeit zwei Zustände haben kann. Jetzt stellen Sie sich vor, ein Atom ist zur selben Zeit an zwei Orten. Ich kann mir das nicht vorstellen, das würde ja bedeuten, dass ich jetzt in Siegen und zeitgleich bei Ihnen im Taunus sitzen könnte. Aber auf dieser Basis funktionieren Quantencomputer. Ich nehme das für mich so hin. Ich bin bei eleQtron derjenige, der sich um alles kümmert außer um die Technik.

Sie haben zuletzt als Unternehmens­berater gearbeitet. Wie kam es zur Gründung mit den beiden Physikern Christof Wunderlich und Michael Johanning?
Ich habe hier in der Region in unserem Familienunternehmen gearbeitet. Im Zuge des Generationenwechsels sind wir auf einen externen Geschäftsführer umgestiegen und es war klar, dass ich etwas anderes machen möchte. Ich war am Lehrstuhl in Siegen mit einem Professor in Kontakt, der mich dann mit Christof Wunderlich und Michael Johanning zusammengebracht hat, als die beiden eleQtron schon gegründet hatten und ihnen die betriebswirtschaftliche Kompetenz fehlte.

Welche Idee steckt konkret hinter dem von eleQtron entwickelten Quantencomputing-Konzept?
Unsere Maschine rechnet mit Atomen. Das geschieht, indem man einzelne Atome in einem elektromagnetischen Feld buchstäblich fängt. Das bedeutet, man löst einzelne Atome über einen Laser aus dem Material, bei uns ist das ein Metall, und dann fangen wir diese im elektromagnetischen Feld. Man kann diese Atome dann wirklich auch sehen, und das hört sich ja schon irgendwie verrückt an: Atome fangen, aber das ist Stand der Technik, das können viele heute weltweit schon. Der nächste Schritt ist, dass man diese Atome in einem Hochvakuum stabilisiert, danach werden die Atome mit Lasern gekühlt. Das ist aber auch Stand der Wissenschaft. Was unser Produkt einzigartig macht, ist MAGIC. Das steht für: MAgnetic Gradient Induced Coupling. Was bedeutet, dass wir den Atomen über Mikrowellen das Rechnen beibringen.

Sie sprechen auch vom Geschäftsmodell QaaS – Quantum as a Service.
Als Hardware-Entwickler ist es unser Ziel, Rechenleistung zu verkaufen. Unsere Quantencomputer sollen zunächst in Forschungsinstituten und Universitäten installiert werden. Die ersten Schritte gingen wir mit dem DLR, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die bei uns zwei Maschinen gekauft haben. Mittlerweile haben wir eine weitere Maschine an das FZJ, Forschungszentrum Jülich, verkauft – dort kümmern wir uns auch um die Anbindung an einen Supercomputer. Langfristig wollen wir in Richtung Industrie gehen und auch ein Subskriptionsmodell nach dem Prinzip SaaS – Software as a Service – anbieten. Dazu wollen wir unsere Maschinen in Rechenzentren aufstellen und ihre Leistung für Dritte verfügbar machen.

Welches sind die konkreten Einsatzbereiche? Und werden wir alle irgendwann Quantentechnik im Laptop oder Smartphone haben?
Quantencomputer als fundamental neue Art von Hochleistungsrechnern können existierende Supercomputer für einige Anwendungsfälle, vereinfacht gesehen, so beschleunigen wie Grafikbeschleuniger einen Prozessor in unserem Laptop. Das heißt, Quantencomputer werden dort Einsatzbereiche finden, wo heute die schnellsten Hochleistungsrechenzentren die rechenaufwendigsten Herausforderungen angehen – im wissenschaftlichen Rechnen: Quantenmechanik für Materialforschung oder Wirkstoffforschung, Fusionsforschung bis hin zu Kryptoanalyse. Für erste theoretisch wissenschaftliche Probleme der Quantenmechanik sind Quantenrechner heute schon uneinholbar schneller, aber auch Anwendungsfälle im Finanzbereich und der Logistik werden evaluiert. In Zukunft werden die Ergebnisse dieser Evaluationen helfen, in hybriden Systemen – die wir heute schon mit dem Forschungszentrum Jülich aufbauen – Aufgaben auf die jeweils besten Rechenbeschleuniger (QC oder Supercomputer) zu verteilen.

Welche Meilensteine hat Ihr Start-up bereits geschafft?
Der größte Meilenstein war, dass wir Investoren gefunden haben. Nur so konnte die Reise überhaupt losgehen. Zu dem Zeitpunkt war unser Fokus auf reinen geförderten Projekten. Dann kam das erste Commitment vom DLR und die beiden ersten verkauften Maschinen. Als wir anfingen, hatten wir gar kein Büro und keinerlei Ausstattung. Es ist schon Wahnsinn anzuschauen, wie wir es aus dem Nichts zu einer eigenen Infrastruktur und eigenen Mitarbeitern geschafft haben. Also: Gründung im Mai 2020, im September bin ich dazugekommen, Ende 2021 waren wir fünf Mitarbeitende, im Jahr 2022 so ungefähr neunzehn, 2023 rund 43 Mitarbeitende und jetzt im Juni 2024 haben wir 55 Mitarbeitende und bis Ende des Jahres werden wir weiter aufstocken.

Sie sind auf globale Kompetenz angewiesen. Aus aller Welt kommend, sitzen die Mitarbeitenden an den beiden Standorten Siegen und Hamburg. Wie gelingt es Ihnen, die weltweit Besten für Ihr Start-up zu gewinnen?
Es ist schon ein Kampf, die Leute zu finden und diese dann auch zu überzeugen, nach Siegen oder Hamburg zu kommen. Aber wir haben einen Vorteil: Quantencomputing ist einfach supersexy. Manche sprechen schon von einem Quanten-Zeitalter, das jetzt auf uns zukommt. Da dabei zu sein, ist natürlich attraktiv, aber für uns ist es umso wichtiger, technisch die Besten auf unserer Seite haben. Die Ionenfallen-Quantencomputing-Community ist weltweit, würde ich schätzen, nur einige 100 Köpfe groß. Man braucht die richtigen Kontakte zu Lehrstühlen, die richtigen Publikationen. Wir arbeiten mit Headhuntern zusammen, aber rekrutieren auch auf Linkedin. Unsere Standorte sind Siegen und Hamburg. Zwei ganz unterschiedliche Städte in Bezug auf Lage, Größe, Infrastruktur und Charisma. Damit können wir auch unterschiedliche Bedürfnisse unserer Zielgruppe abdecken.

Welche Voraussetzungen braucht es in der Kultur und Zusammenarbeit, um solch ein Produkt von globaler Bedeutung kontinuierlich gemeinsam weiterzuentwickeln?
Die meisten Menschen bei uns sind Naturwissenschaftler. Da die meisten es durch ihre Promotion gewöhnt sind, eher alleine an einem wissenschaftlichen Thema zu arbeiten und Neues hervorzubringen, ist die Teamleistung bei uns oft eine große Umstellung. Wir möchten miteinander ein Produkt entwickeln. Das ist etwas völlig anderes. Aber Menschen wollen, glaube ich, immer mit Menschen zusammen sein. Und sei es bei einem gemeinsamen Mittagessen. Der freundschaftliche Austausch prägt auch die Leidenschaft fürs Produkt. Spaß ist auch ein wichtiger Faktor. Ich freue mich, dass wir jetzt dieses Gespräch führen können, und genauso möchte ich einfach meine Tage und auch die der anderen gestalten. Natürlich sind da auch mal Sachen, die lästig sind und schwierig.

Aber vom Grundtenor sollten wir Spaß haben an dem, was wir machen. Das versuchen wir gemeinsam zu verwirklichen. Wir kochen zusammen, einmal im Jahr segeln wir gemeinsam. Es geht jetzt nicht um den Event-Charakter, sondern darum, dass wir uns miteinander beschäftigen. Viele reden von Work-Life-Balance. Ich glaube aber auch, dass sich die Frage nach einer Work-Life-Balance nicht so explizit in den Vordergrund stellt, wenn man das liebt, was man tut, und mit Leidenschaft bei der Sache ist.

Wie wirkt sich dieser gemeinsame Spirit auf die Führungsphilosophie bei eleQtron aus?
Unsere Führungsphilosophie geht in Richtung visionär, transformativ. Es geht darum, regelmäßig mit dem Team zu kommunizieren, um diese gemeinsame Vision zu fördern. Wir wollen inspirieren, die Unternehmensziele gemeinsam zu tragen, die Begeisterung dafür auch zu halten und Meilensteine miteinander zu feiern. Wir brauchen Innovation und Kreativität – und das bei dem ganzen Druck, den die Projekte auch mit sich bringen. Alle reden immer von Eigenverantwortung. Ich glaube, dass Selbstverantwortung wirklich ein Schlüssel zum Ziel ist und setze deshalb persönlich ein hohes Maß an Vertrauen in alle.

Allerdings bedarf es an der einen oder anderen Stelle auch eines festen Rahmens, wenn wir im Wettbewerb bleiben wollen. Wir messen uns an den besten Companys weltweit. Die Vision muss lauten: Wir bauen hier einen internationalen neuen Tech-Champion auf.

Welche Werte halten die internationale Belegschaft zusammen?
Wir haben uns mit unseren Werten beschäftigt. Es ist wichtig, eine gute Grundlage miteinander zu haben. Bei uns sind das drei Themen: Synergetic, Passionate, Magic. Synergetic bedeutet die Synergie aus Technik und Business, Passionate steht für unsere United Family, die auch viele Hürden überwinden muss, um etwas Neues zu vollbringen. Und Magic steht wie unser Produkt für Excellence in Technology und Shaping the Future. Sie sehen es, unsere gemeinsame Sprache ist Englisch.

Und dann ist es völlig egal, aus welchem Teil der Welt dann jemand kommt?
Uns bleibt ja gar nichts anderes übrig, wir machen daraus eine Stärke. Wir haben 19 unterschiedliche Nationen an Bord. Das ist schon Wahnsinn, die hier nach Siegen oder nach Hamburg zu kriegen und dann auch miteinander arbeiten zu lassen. Es gibt schon interkulturelle Unterschiede, aber auch Vorurteile. Die einen nehmen es manchmal mit der Zeit nie so genau, andere wiederum sind vielleicht überkorrekt. Es sind eben unterschiedliche Arten zu arbeiten. Wenn der eine immer zu spät kommt und der andere immer überakkurat ist, gilt es zu kommunizieren und den für alle besten Weg zu finden. Am Ende bin ich der festen Überzeugung, dass gemischte Teams bessere Ergebnisse finden.

Inwieweit findet Ihre Entwicklung bereits weltweit Beachtung?
Quantencomputing ist nie nur regional in NRW, in Siegen, in Deutschland oder nur in Europa von Bedeutung. Uns geht es erst mal darum, eigenständig zu bleiben auf europäischer Ebene und sich nicht durch andere Nationen abhängen zu lassen. Deswegen sind wir immer im Wettbewerb mit den großen amerikanischen und chinesischen Playern. Unsere Technologie-Benchmarks sind immer international. Große Beachtung hat Christof Wunderlich mit seinen Veröffentlichungen und mit seinen Präsentationen erreicht, und auch der Lehrstuhl und seine Mitarbeitenden haben schon viele internationale Spuren hinterlassen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Mai in Hamburg Ihren Quantencomputer persönlich eingeweiht. Was hat er Ihnen noch gesagt?
Olaf Scholz ist zu uns nach Hamburg gekommen, um unseren Demonstrator einzuweihen, die Maschine QSea I. Olaf Scholz hat den grünen Buzzer, den Startknopf der Maschine, gedrückt. Es gab ein offizielles Foto und danach habe ich ein paar Worte mit ihm gewechselt. Und er hat gesagt: „Weitermachen!“ Er hat ja so einen trockenen hanseatischen Humor, und es hat mich unheimlich gefreut, dass er uns auf seine Art zum Dranbleiben motiviert hat.

Wie geht es denn jetzt weiter?
Fokus ist räumlich gesehen erst mal Europa. Mit den beiden Standorten sind wir gut gerüstet. Es wird auf jeden Fall weitergehen mit den nächsten Generationen an Quantencomputern. Was wir jetzt mit der ersten Baureihe aufgesetzt haben, werden wir weiter skalieren, noch leistungsfähiger machen. Und dann ist natürlich der Fokus auf der Mitarbeiterseite. Also, Wachstum ist schon auch immer eine schmerzhafte Sache. Ich glaube, manchmal ist weniger mehr und Fokus auf das, was wirklich wichtig ist. Wir sind an der Stelle anders unterwegs, als die Trends aus dem Internet sagen.

Ich bin der Überzeugung, dass es für Menschen gut ist, wenn sie auch direkt miteinander kommunizieren. Wir sind Hardware-Entwickler, das heißt, irgendwo steht die Maschine. Reines Remote-Arbeiten geht eben in manchen Jobs nicht. Hinzu kommen die informellen Begegnungen, zum Beispiel an der Kaffeemaschine, die ein wichtiger Teil des Miteinanders sind. Um in der Entwicklung einen Durchbruch zu erreichen, müssen wir uns persönlich auseinandersetzen. Wenn diese Basis da ist, kann man auf jeden Fall auch digital besser zusammen­arbeiten.

Über den Gesprächspartnerin

Jan Leisse ist Co-Gründer und CEO von eleQtron. Der Diplom-Ingenieur absolvierte zusätzlich ein MBA und hat langjährige Erfahrung im Turnaround-Management und Corporate Development. Leisse ist die treibende Kraft hinter dem schnellen Wachstum von eleQtron. Vor der Gründung war er Geschäftsführer im Familienunternehmen und beim Maschinenbauspezialisten Albrecht Bäumer sowie als Unternehmensberater tätig.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Weltweit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sabine Schritt ist leitende Redakteurin beim Human Resources Manager.

Sabine Schritt

Sabine Schritt ist leitende Redakteurin des Magazins Human Resources Manager. Sie war zuvor 25 Jahre als freie Journalistin tätig. Nach verschiedenen Stationen im Tagesjournalismus und bei Ratgeber- und Lifestyle-Publikationen, beschäftigt sie sich seit über 15 Jahren intensiv mit Themen rund um die Arbeitswelt, HR und Führung. Die gebürtige Kölnerin war zudem bis 2012 stellvertretende Chefredakteurin des Schweizer Fachmagazins HR Today in Zürich. Anschließend war sie zehn Jahre als freie Redakteurin für das Fachmagazin Personalführung tätig. Sabines besonderes Interesse gilt den Aspekten:  Zusammenarbeit, Kommunikation, digitale Transformation, Kulturwandel in Unternehmen, Rollenverständnis von HR, Persönlichkeitsentwicklung.

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