No psychological safety, no gain

Healthy Workplace

Als ich vor 6 Jahren angefangen habe, mich mit dem Thema mentale Gesundheit am Arbeitsplatz zu beschäftigen, stolperte ich sehr schnell über den Begriff der psychologischen Sicherheit. Genauso schnell wurde mir klar, dass psychologische Sicherheit die Voraussetzung für ein erfolgreiches Team ist. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass psychologische Sicherheit die einzige Möglichkeit ist, um mentale Gesundheit und hohe Performance in Einklang zu bringen.

Was ist psychologische Sicherheit?

Der Begriff der psychologischen Sicherheit wurde 1999 Amy Edmondson, Professorin für Leadership an der Harvard Business School, geprägt: „Psychologische Sicherheit ist die gemeinsame Überzeugung in einem Team, dass man nicht bestraft oder beschämt wird dafür, eigene Ideen zu haben, Vorschläge zu bringen, Fragen zu stellen, Zweifel anzumelden, Fehler zuzugeben.“ Psychologische Sicherheit beeinflusst nicht nur das einzelne Teammitglied positiv, sondern auch die Unternehmenskultur, den Erfolg und das mentale Wohlbefinden der Mitarbeitenden.

Warum ist psychologische Sicherheit wichtig?

In einem Arbeitsumfeld, in dem sich Mitarbeitende sicher fühlen, können sie auch proaktiv Feedback geben. Das hilft dabei, Probleme frühzeitig zu erkennen, um zum Beispiel bei Stress und Überforderung entgegenzuwirken, bevor es zum Burnout kommt.

In einer Kultur ohne psychologische Sicherheit trauen sich Teammitglieder dagegen nicht, mit ihren Führungskräften über Herausforderungen oder eventuelle Belastungen zu sprechen. Es herrscht die Angst, dass diese als Schwächen ausgelegt werden und sich daraus Nachteile ergeben. In solchen Arbeitskulturen wird oft erst dann reagiert, wenn Mitarbeitende sich schon mitten im Burnout befinden.

Außerdem performen Teams in psychologischer Sicherheit auch nachweislich besser und kommen zu besseren Ergebnissen. Julia Rovosky, People Analytics Manager bei Google formuliert es so: „Nach unseren Erfahrungen gibt es fünf Faktoren, durch die sich erfolgreiche Teams bei Google von anderen Teams unterscheiden…psychologische Sicherheit war bei weitem der Wichtigste.“

Das ist aus meiner Sicht wenig überraschend. Mitarbeitende, die sich in ihrem Arbeitsumfeld wohlfühlen, sind innovativer, bringen neue Ideen ein und finden kreative Lösungen für Probleme –ohne Angst davor ein Risiko einzugehen oder von einer negativen Fehlerkultur „bestraft“ zu werden.

Was psychologische Sicherheit nicht ist

Psychologische Sicherheit wird aus meiner Erfahrung oft falsch verstanden. Es geht nämlich nicht primär darum, „nett“” zueinander zu sein und sich in der  Komfortzone zu bewegen. Amy Edmondson stellt ganz richtig fest, dass psychologische Sicherheit teilweise sogar unangenehm sein kann: Es braucht dafür Offenheit, Verletzlichkeit und die Bereitschaft, Fehler zuzulassen.

Es mag wie eine Plattitüde klingen, aber richtig gute Ergebnisse erzielt man eben nur mit der Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen. Bestleistungen sind nur möglich, wenn psychologische Sicherheit auf hohe Erwartungen trifft. Mitarbeitende haben so die Freiheit und das Vertrauen, Dinge zu testen und Fehler zu machen, um am Ende zum besten Ergebnis zu kommen.

Und hier löst sich der vermeintliche Widerspruch auf: Psychologische Sicherheit ist kein „Kuschelkurs“, der Leistung im Weg steht. Sie schafft ein Umfeld, in dem Mitarbeitende ihr Bestes geben und gleichzeitig die eigenen Grenzen wahren.

Fühlt sich mein Team psychologisch sicher?

Wie kann Sicherheit gemessen werden? Die meisten von uns sagen selten, dass wir sicher „sind“. Wir sagen meistens, dass wir uns sicher „fühlen“. Und Gefühle lassen sich bekanntlich schwer messen.

Es gibt inzwischen aber einige standardisierte Tests, wie etwa den PsySafety-Check (PS-C). Diese Tests sind eine gute Basis, um zu erkennen, wo das Team steht und was man verbessern kann. Hier geht es auch schon raus aus der Komfortzone: Selbst diese einfachen Fragen ehrlich zu beantworten, kann unangenehm sein – ist aber für das gesamte Team und das Unternehmen wahnsinnig wertvoll.

Wie baue ich psychologische Sicherheit auf?

Am Ende bleibt die große Frage nach dem Wie. Es gibt verschiedene Strategien als Personalverantwortliche und als Führungskräfte psychologische Sicherheit aufzubauen.

1. Klare Regeln und klare Grenzen

Klarheit schafft Sicherheit: Kommuniziere ganz klar, welche Regeln und welche Prozesse die Kultur im Unternehmen prägen. Das kann alles sein von „ Es ist ok, die Kamera im Online-Meeting auch mal abzuschalten“ bis hin zu „Es ist ok, deinen Manager um Hilfe zu bitten.“ Gerade neuen Mitarbeitenden nimmt das die Angst, ungeschriebene Regeln zu verletzen.

2. Eine sichere und offene Feedbackkultur

Wenn psychologische Sicherheit unter anderem bedeutet, Risiken einzugehen, Fehler zu machen und daraus zu lernen, dann ist die Grundlage dafür eine gute Feedbackkultur. Dafür muss einerseits regelmäßig Raum für Feedback geschaffen und andererseits sichergestellt werden, dass Feedback konkret und konstruktiv ist. Fehler sollten dabei nicht zu negativ konnotiert sein, denn sie können – durch Feedback – ausgebessert werden und das Team kann an ihnen wachsen.

Was bei allen Tipps rund um Feedback manchmal vergessen wird: Es ist keine Einbahnstraße. Führungskräfte sollten Feedback einfordern und das Team darin bestärken, ehrlich und konstruktiv zu sein. Mitarbeitende sollten wissen, dass ihre Perspektive und ihr Input geschätzt werden und dass – wenn nötig – auch entsprechende Änderungen getroffen werden.

Mit gutem Beispiel vorangehen

Wenn psychologische Sicherheit nur auf dem Papier stattfindet und nicht gelebt wird, wird sie niemals erfolgreich sein. Wenn ich meinen Mitarbeitenden sage, dass sie offen kommunizieren sollen und dass Fehler in Ordnung sind, ihnen aber als Führungskraft nicht genau diese Kultur vorlebe, wird mir das kein Team der Welt abkaufen.

Für HR und Führungskräfte bedeutet das, Verletzlichkeit zuzulassen und Fehler oder etwaige Zweifel offen zuzugeben. Es bedeutet auch, Ideen in den Raum zu werfen und Kritik daran anzunehmen, ja das Team sogar zu kritischem Feedback zu ermutigen.

No psychological safety, no gain

Psychologische Sicherheit kann manchmal richtig schwer sein. Sie verlangt von HR und Führungskräften, an sich selbst zu arbeiten, unangenehmen Situationen nicht aus dem Weg zu gehen und dabei gleichzeitig mit Empathie gegenüber sich selbst und gegenüber dem Team zu agieren. Aber es ist meiner Meinung nach der einzige Weg, um nachhaltig hohe Leistung und ein gesundes Team miteinander zu verbinden.

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Jonas Keil

Jonas Keil ist Co-CEO und Co-Founder vom HR-Tech-Unternehmen Nilo Health, einem Anbieter zur Förderung der mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz. Keil ist zudem als Speaker für Organisationsentwicklung, nachhaltige Unternehmenskultur und gesunde Führung tätig. In seiner Kolumne "Healthy Workplace" schreibt er darüber, wie mentale Gesundheit, Performance und eine nachhaltige Unternehmens- und Führungskultur zusammenhängen.

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