Arbeitsrechtliche Fallstricke beim Nachweis von Arbeitszeitbetrug

Kündigung

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers, der Arbeitszeitbetrug begeht und damit gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur korrekten Dokumentation der Arbeitszeit (Paragraph 241 Absatz 2 BGB) verstößt, kann im Einzelfall sowohl eine außerordentliche als auch eine ordentliche Tat- oder Verdachtskündigung rechtfertigen. 

Abgestufte Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber muss den Grund für die Kündigung, also den (vermeintlichen) Arbeitszeitbetrug, in abgestufter Weise darlegen und beweisen. Wenn der Arbeitnehmer versucht, den Vorwurf zu widerlegen, muss der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer vorgetragenen entlastenden Umstände wiederum begründet entkräften. Gelingt ihm dies nicht, hat die Kündigung in der Regel keinen Erfolg. 

Meist ist – abhängig vom Umfang des Arbeitszeitbetrugs – eine vorherige Abmahnung erforderlich. Denn der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer in der Regel die Gelegenheit geben, sein pflichtwidriges Verhalten in der Zukunft zu ändern. 

Umstände, Schwere und Häufigkeit des Verstoßes entscheidend

Allgemeine Kriterien für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs sind vor allem die Schwere des Verstoßes, der damit verbundene Vertrauensbruch und die Häufigkeit des Fehlverhaltens. Es muss eine gewisse „Systematik“ dahinterstecken. Wie so oft hängt die Wirksamkeit in diesem Bereich stark von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, wie folgende Fälle zeigen. 

Kürzlich entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen mit Urteil vom 20. Februar 2024 (9 Sa 577/23), dass allein der Umstand, dass eine Rettungssanitäterin nach Beendigung ihrer Einsatzfahrt etliche Male später als ihre Kollegen „ausstempelte“, noch keinen hinreichenden Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs begründet. Insbesondere wenn die Arbeitnehmerin plausibel anführt, sie habe Nacharbeiten verrichtet, die tatsächlich von einer Person allein erledigt werden können, und der Arbeitgeber dem nicht substantiiert entgegentritt. Hier griff die abgestufte Darlegungs- und Beweislast und wirkte sich zu Ungunsten des Arbeitgebers aus. Aus angeblichen Äußerungen der Arbeitnehmerin, die der Arbeitgeber als Geständnis für einen begangenen Arbeitszeitbetrug wertete, konnte laut LAG Niedersachsen nicht auf einen solchen geschlossen werden. Das Eingeständnis habe sich nicht anhand der erfassten Arbeitszeiten nachvollziehen lassen. 

Das LAG Köln erklärte eine Kündigung zuletzt mir Urteil vom 28. März 2024 ( 6 Sa 105/23) für unwirksam. Der Arbeitgeber hatte versucht, durch Protokolle eines Schließsystems nachzuweisen, dass die Arbeitnehmerin immer schon um 15 Uhr den Arbeitsort verlassen habe. Auch hier scheiterte es aus Sicht des Arbeitgebers an der Darlegungs- und Beweislast, da das LAG Köln der Auffassung war, der Arbeitgeber habe sich durch die vorgelegten Protokolle selbst widersprochen. So gaben die Darlegungen zwar Auskunft über den Zeitpunkt der Ankunft am Arbeitsort, nicht jedoch über das Verlassen. Teilweise wurden die Behauptungen des Arbeitgebers widerlegt, da sich die Klägerin an einigen Tagen nach 15 Uhr erst einstempelte. Hier wäre dem Arbeitgeber im Vorhinein mehr Sorgfalt anzuraten gewesen. 

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern entschied mit Urteil vom 28. März 2023 (5 Sa 128/22), dass eine Kündigung gerechtfertigt sein kann, wenn sich ein Arbeitnehmer von zu Hause aus im Zeiterfassungssystem „einstempelt“, die Arbeit aber erst zu einem späteren Zeitpunkt im Büro aufnimmt. Hier hatte es der Arbeitgeber mit Blick auf die Darlegungs- und Beweislast leicht, weil der Arbeitnehmer ein beweisbares Geständnis ablegte, das sich mit den übrigen Anhaltspunkten für den Arbeitszeitbetrug deckte. Dies ist in der Praxis eher die Ausnahme als die Regel. 

Sorgfalt bei der Aufklärung erforderlich

Streitigkeiten werden in diesem Zusammenhang mit der nahenden Einführung verpflichtender Arbeitszeiterfassungssysteme zunehmen. Arbeitgebern ist vor dem Hintergrund der abgestuften Darlegungs- und Beweislast anzuraten, eine Kündigung erst dann auszusprechen, wenn genug beweisbare Anhaltspunkte für einen vorsätzlichen und mehrfach begangenen Arbeitszeitbetrug vorliegen. Eine genaue Dokumentation ist besonders wichtig. Sollte die „Verteidigungsstrategie“ des Arbeitnehmers absehbar sein, lohnt es sich, im Voraus zu prüfen, wie dem mit Tatsachen belegt, entgegengetreten werden kann. 

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Antonia Gutsche

Dr. Antonia Gutsche, Rechtsanwältin bei Taylor Wessing in der Praxisgruppe Employment, Pension & Mobility, berät national und international tätige Unternehmen sowie Führungskräfte in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.

Katrin Gratzfeld

Dr. Katrin Gratzfeld ist Rechtsanwältin im Bereich Employment, Pension & Mobility am Düsseldorfer Standort von Taylor Wessing. Sie berät national und international tätige Unternehmen sowie Führungskräfte in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts mit Fokus auf der vertraglichen und tatsächlichen Gestaltung des Einsatzes flexibler Personalreserven sowie Projekten zur Sicherstellung der HR-Compliance.

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