Alles neu in der bAV? So soll die betriebliche Altersversorgung attraktiver werden

Gesetzesentwurf

Kurz vor Beginn der Sommerpause haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie das Bundesministerium der Finanzen am 24. Juni 2024 ihren Referentenentwurf für das Betriebsrentenstärkungsgesetz II vorgelegt. Erklärtes Ziel soll sein, die Attraktivität der betrieblichen Altersversorgung (bAV) in Deutschland weiter zu steigern, und so dem weiterhin sinkenden Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung entgegenzuwirken.

Doch bei einigen Neuerungen im Referentenentwurf dürften sich bereits erste Probleme abzeichnen:

1. Erweiterung der Abfindungsmöglichkeiten

Die bisherige Abfindungsgrenze für Kleinst-Anwartschaften gemäß Paragraf 3 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) soll nach dem Referentenentwurf auf zwei Prozent (laufende Rentenzahlungen) verdoppelt werden, beziehungsweise auf 24/10 (Kapitalleistungen) der monatlichen Bezugsgröße gemäß Paragraf 18 Sozialgesetzbuch (SGB) IV. Wenn der Arbeitgeber von dieser erhöhten Abfindung Gebrauch machen will, müssen jedoch zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens, muss der Arbeitnehmer dem zustimmen und zweitens muss er den gesamten Abfindungsbetrag zur Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung verwenden.

2. Vorzeitiger Betriebsrentenbezug auch bei gesetzlicher Teilrente

Nach der Konzeption des Referentenentwurfs sollen Arbeitnehmer künftig einen Anspruch auf Zahlung einer vorzeitigen Betriebsrente – gegebenenfalls mit Abschlägen – haben, wenn sie eine Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen. Also, dass die Betriebsrente entsprechend der zugrundeliegenden Zusage in der Regel nur dann in voller Höhe gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer bis zum Eintritt der vereinbarten Altersgrenze im Unternehmen bleibt. Nimmt der Arbeitnehmer die Betriebsrente hingegen schon vorher in Anspruch, wird sich hierdurch in der Regel auch die Höhe der Betriebsrente entsprechend reduzieren. Arbeitnehmer müssten also mithin nicht mehr den Bezug der gesetzlichen Vollrente abwarten.

3. Erweiterung der Opting-Out-Möglichkeiten bei der Entgeltumwandlung

Die Einführung sogenannter „Opting-Out-Modelle“, bei denen alle Beschäftigten des Betriebs automatisch eine Entgeltumwandlung erhalten und dieser aktiv widersprechen müssen, soll nach dem Referentenentwurf künftig auch ohne eine tarifvertragliche Regelung möglich sein, solange sich die Betriebsparteien hierauf in Rahmen einer Betriebsvereinbarung einigen. Dies soll allerdings nur dann möglich sein, wenn der Arbeitgeber gleichzeitig mindestens 20 Prozent des umgewandelten Entgelts als Arbeitgeberzuschuss hinzugibt.

4. Stärkung des Sozialpartnermodells

Das Sozialpartnermodell, wonach die Tarifparteien eine sogenannte „reine Beitragszusage“ (diese bedeutet: der Arbeitgeber leistet zwar Beiträge an einen externen Versorgungsträger, steht aber nicht für eine bestimmte Betriebsrentenhöhe ein) vereinbaren können, soll nach dem Referentenentwurf künftig attraktiver werden.

Dies soll unter anderem durch eine erleichterte arbeitsvertragliche Inbezugnahme von bestehenden Sozialpartnermodellen durch nichttarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer erreicht werden. Voraussetzung hierfür soll allerdings sein, dass die das Sozialpartnermodell tragenden Tarifvertragsparteien einer solchen Inbezugnahme zustimmen. Zudem ist zu beachten, dass die Tarifvertragsparteien solche in Bezug nehmenden Arbeitgeber nach dem Referentenentwurf an den Kosten für die Durchführung und Steuerung des Sozialpartnermodells beteiligen können.

Erstes Fazit und Ausblick

Es ist zu befürchten, dass zumindest der vorliegende Referentenentwurf sein Ziel, die Betriebsrente weiter zu verbreiten, verfehlen wird. Zwar enthält er an vielen Stellen gute Anreize; diese werden jedoch gleichzeitig durch gesetzliche Sonderauflagen wieder entwertet: So ist es zwar lobenswert, dass die Grenzen für die Abfindung von Kleinst-Anwartschaften angehoben werden sollen; welcher Arbeitnehmer soll einer solchen Abfindung aber realistischerweise zustimmen, wenn er sie nicht ausgezahlt bekommt, sondern sie stattdessen in die gesetzliche Rentenversicherung „zwangsumgeschichtet“ wird? Hinzu kommt, dass er sich hinsichtlich der Rentenhöhe durch diesen Tausch in den meisten Fällen wahrscheinlich sogar schlechter stellen dürfte.

Auch ist nicht einleuchtend, warum ein Arbeitgeber, der mit seinem Betriebsrat zugunsten seiner Arbeitnehmer ein Opting-Out-System bei der Entgeltumwandlung auf den Weg bringt, dadurch bestraft werden soll, dass er einen Arbeitgeberzuschuss von 20 Prozent statt wie üblich von 15 Prozent des umgewandelten Entgelts leisten muss. Auch die intendierte Ausweitung der Entgeltumwandlung dürfte damit ausbleiben. Zudem dürfte sich die erhoffte Ausweitung von Inbezugnahmen tariflicher Sozialpartnermodelle durch nichttarifgebundene Arbeitgeber vermutlich nicht realisieren: Wenn der Arbeitgeber bei einer solchen Inbezugnahme damit rechnen muss, von der Gewerkschaft hierfür zur Kasse gebeten zu werden, dürfte seine Motivation zur Vereinbarung solcher Inbezugnahmen eher gering sein.

Es bleibt abzuwarten, ob die Regelungen des Referentenentwurfs in der vorgelegten Form den Sprung in den Regierungsentwurf und das finale Gesetz schaffen, oder ob diese bis dahin noch einmal modifiziert werden. Letzteres wäre mit Blick auf die obengenannten Fallstricke für die Arbeitgeber sicherlich wünschenswert.

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Dr. Jan Kern

Dr. Jan Kern ist Partner bei Taylor Wessing. Er berät Unternehmen zum gesamten individuellen und kollektiven Arbeitsrecht. Ein besonderer Schwerpunkt bildet die arbeitsrechtliche Beratung zur betrieblichen Altersversorgung.

Dr. Tim Eickmanns

Dr. Tim Eickmanns ist Salary Partner bei Taylor Wessing. Er berät national und international tätige Unternehmen sowie Führungskräfte in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Sein besonderer Schwerpunkt liegt hierbei in der Beratung von Unternehmen zu allen Fragen rund um die betriebliche Altersversorgung.

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